15.06.2017 – Rede von Nicole Britz auf der Demo „Freiheit statt Angst“

Die Rede von Nicole Britz von mut zur Nachlese

Hallo zusammen,

Ich weiss nicht, meine wievielte Rede das auf einer „Freiheit statt Angst“-Demo ist. Und auch nicht, meine wievielte Demo gegen Überwachung überhaupt.

Was ich aber weiss ist, dass es bei jeder Veranstaltung dieser Art neue Überwachungsmaßnahmen, Überwachungsgesetze und noch mehr Abbau von Grundrechten anzuklagen gibt.

Dieser Tage ging die Innenministerkonferenz durch die Medien. Innenminister misstrauen grundsätzlich allem und jedem und vor allem der eigenen Bevölkerung.

Neues vom Wunschzettel der Datensammler:

  • Whatsapp mitlesen
  • Kinder überwachen
    (Wäre es nicht besser, Kinder aus einem solchen Umfeld herauszuholen?)
  • Gesichtserkennung
  • Schleierfahndung, das heisst anlasslose, verdachtsorientierte Personenkontrollen.

Das kann alle treffen. In der polizeilichen Praxis werden aber vor allem „ausländisch aussehende“ Menschen kontrolliert. Das das so ist, wird gerne abgestritten. Aber „ausländisch aussehende“ Menschen in unserem persönlichen Umfeld planen für Wege zu Terminen mehr Zeit ein, weil sie regelmäßig wegen nichts anderen als ihrem äusseren Erscheinungsbild kontrolliert werden.

Als dicke blonde weisse Frau bin ich übrigens noch nie kontrolliert worden. Noch nie. Aber mal schauen, wie lang das noch gut geht.

Denn plötzlich muss man sich für Alltägliches rechtfertigen.

Und rechtfertigen für das, was man ist.

„Sie dahinten, sind Sie vorhin nicht ein bisschen schnell gegangen?“
„Warum hatten Sie es denn so eilig?“
„Sie da drüben, was stehen denn da so lange rum?“
„Und Sie da, sehen Sie nicht ein bisserl arg ausländisch aus?

„Dürfte ich mal Ihre Papiere sehen?“

Haben Sie alle wegen der allgegenwärtigen Überwachung schon Ihr Verhalten angepasst? In Telefonaten? In E-Mails? Im öffentlichen Raum?

Anlasslose Massenüberwachung ist eine Gefahr für die Demokratie.

Sie beeinträchtigt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieser sperrige Begriff bezeichnet das Recht jedes Einzelnen zu wissen, welche Daten die Behörden über sie oder ihn gespeichert haben.

Wissen Sie, was der Staat an Informationen über Sie gesammelt und gespeichert hat? Dank der Vorratsdatenspeicherung weiss er auch, wann sie wie lange und mit wem telefoniert haben, wenn Sie selbst dieses Telefonat längst vergessen haben. Müssen wir uns bald dafür rechtfertigen, wenn man mit dem netten Menschen, der sich verwählt haben, länger reden als es aus Behördensicht angemessen wäre? Und wer weiss schon, wer einen da anruft? Am Ende ist der Gesprächspartner am anderen Ende ein potentieller Straftäter und man selbst befindet sich plötzlich ohne eigenes Zutun im Fokus der Ermittlungsbehörden.

Überwachung gefährdet auch die Pressefreiheit. Und die Pressefreiheit ist wesentlich für eine funktionierende Demokratie. Nicht umsonst werden in aufstrebenden Diktaturen als erstes die Medien unter Kontrolle gebracht. Dafür gibt es auch 2017 leider genügend Beispiele. Auch auf diesem Kontinent.

Ist politisches Engagement noch möglich, wenn man beispielsweise bei Ausübung des Rechtes auf Versammlungsfreiheit zwangsläufig erfasst wird. Durch Funkzellenabfragen, welche Mobiltelefone jetzt und hier registriert werden. Durch die Polizei, die die Veranstaltung filmt. Durch Überwachungskameras im öffentlichen Raum. Und als Sahnehäubchen noch die von Innenministern gewünschte Gesichtserkennung.

Gleichgültigkeit legitimiert das Handeln dieser Feinde von Freiheit und Demokratie.

Es gibt keine Garantie für Frieden, Freiheit und Demokratie.

Sie müssen immer wieder aufs Neue erkämpft werden.

Wir sind doch schon auf dem Weg in eine Gesellschaft, in der intransparente Behörden und Geheimdienste bestimmen, was angemessenes Verhalten ist. Alles andere wird überwacht und kontrolliert. Wenn man dem entgehen will, zensiert man sich selbst – unter reiner Vermutung dessen, was die Geheimdienste möglicherweise verdächtig finden könnten. Ein demokratischer Prozess und eine gesellschaftliche Debatte über die Richtung, in die wir gehen wollen, ist dann unendlich schwierig.

Warum?

Die britische Premierministerin Theresa May hat im Fahrwasser der jüngsten Londoner Anschläge allen Ernstes gefordert die Menschenrechte einzuschränken.

Die Menschenrechte einschränken. So weit sind wir also schon.

Einige Innenminister und auch der Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz tragen sich erwartungsgemäß mit ähnlichen Wünschen.

Nach den Angriffen auf unsere Privat- und Intimsphäre durch immer neue Überwachungsgesetze stehen jetzt sogar die Menschenrechte zur Debatte, wenn es um Terrorbekämpfung geht. Wenn wir all das aufgeben, was zu unseren zivilisatorischen Errungenschaften gehört, dann hat der Terror gewonnen.

Aber die Angst vor dem Terror öffnet noch ganz andere Fässer.

Vor ein paar Monaten hat der saarländische Innenminister Bouillon etwas gefordert. Man solle endlich das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten aufgeben. Der Mann hat im Geschichtsunterricht wohl sehr tief geschlafen.

Dieses Trennungsgebot hat einen Grund und der hieß Gestapo.

Glauben diese vermessenen Überwachungsfetischisten allen Ernstes, es gäbe in diesem Lande kein Risiko, dass alle diese gesammelten Daten in die falschen Hände fielen?

Ich denke nicht, dass wir an der Schwelle zu einer Diktatur stehen. Aber die Gefahr, dass Datensammlungen und Überwachungstechnologie missbraucht werden, ist real.

  • Reichsbürger bei der Polizei.
  • Rechtsextreme in der Bundeswehr.
  • Die seltsamen Verstrickungen des Inlandsgeheimdienstes Verfassungsschutz mit der rechten Szene.
  • Parlamentarische Anfragen rechter Parteien, wie viele Homosexuelle es im Zuständigkeitsgebiet des Parlamentes gibt.

Etc.

Denken wir mal für einen Moment an die Diktaturen, die dieses Land schon erlebt hat. Glaubt noch irgendeiner, dass bei den heutigen technischen Möglichkeiten ein Verfolgter auch nur den Hauch einer Chance hätte?

Diesen Entwicklungen müssen wir uns mutig entgegenstellen.

Eine freie Gesellschaft braucht mut.

Wir brauchen Freiheit statt Angst!