Im Januar sechs, im Februar vier, im März zehn, im April neun, Mai sieben, Juni sechs, Juli acht, August acht und im September bisher fünf. 63 queer- und LGBT feindliche Gewalttaten in Deutschland in diesem Jahr bisher.
Im August wurde ein 22-jähriger mit einer Flasche und Pfefferspray verletzt, ein homosexueller Mensch grob beleidigt und verletzt, eine trans Frau beleidigt, sowie mit einer Flasche beworfen und getreten, ein schwules Paar von einer Jugendgruppe attackiert und verletzt, erneut zwei schwule Männer homofeindlich beleidigt und attackiert und… ja, Malte wurde im August auf dem CSD in Münster so brutal geschlagen, dass er bewusstlos umfiel, mit dem Hinterkopf auf den Asphalt aufschlug und am 2. September 2022 in Folge der Gewalttat an seinen Gehirnverletzungen verstarb.
Malte wollte nur zwei Frauen beschützen, die homo- und queerfeindlich beleidigt wurden. Der Täter richtete daraufhin einen tödlichen Faustschlag gegen Malte.
Ich kannte Malte durch meine Beratung persönlich. Er war ein junger trans Mann, der es schwer in seinem Leben hatte und nur sehr schwer vertrauen konnte. Seit Juli aber blühte er endlich auf. Er traute sich mehr, kam mehr aus sich heraus. Auf diesem CSD in Münster im August hatte er sogar so viel Selbstbewusstsein gebildet, dass er ganz stolz das Banner seiner Selbsthilfegruppe getragen hat. Auf diesem CSD in Münster im August 2022 hatte Malte eine Freundin und sie zeigten, wie glücklich sie waren. Malte war endlich glücklich…
Und wieder gab es Lachsmileys und jede Menge Victim Blaming. Ihm wurde die Schuld gegeben, weil er überhaupt zum CSD ging und noch schlimmer, ihm wurde seine Identität als Mann abgesprochen.
Nachdem Details über den Täter bekannt wurden, ist auch die Welt der Rechtsextremen wieder in Ordnung, obwohl sie ja eigentlich am liebsten an der Stelle des Täters gewesen wären. Man kann wieder mit dem Finger auf „die Anderen“ zeigen und seine Hände in Unschuld waschen. Dass Russland und Putin aber seit Jahren die Rechte queerer Menschen einschränken, sie sogar kriminalisieren und ihre Entrechtung auch noch zum Verfassungsbestandteil machen, reiht sich in die in ihrer Intensität und Häufigkeit zunehmenden Gewalttaten ein.
Ich wollte eigentlich nichts schreiben, weil ich traurig war, verstört, ja weil ich Angst habe und weil ich das erst einmal selbst verarbeiten musste.
Doch am gleichen Tag, am 27. August auf dem Pride in Bremen, wurde eine 25- jährige von mehreren Jugendlichen beleidigt und ihr wurde die Regenbogenfahne entrissen.
Doch am 01. September wurde ein Dortmunder wegen einer Regenbogenfahne verprügelt.
Doch am 02. September ist Malte dann an seinen Verletzungen verstorben.
Doch am 03. September beleidigte ein junger Mann am Hauptbahnhof in Dresden einen CSD-Teilnehmer und verletzte ihn.
Doch am 04. September wurden ein Mitarbeitender des LSVD (Lesben- und Schwulenverbands) und sein Mann homo- und queerfeindlich beleidigt und durch einen Schlag ins Gesicht verletzt.
Doch am gleichen Tag wurde ebenfalls ein schwuler Mann in Frankfurt homo- und queerfeindlich beleidigt und ihm wurde eine Flasche ins Gesicht geschlagen.
Doch am 05. September attackierten rund 15 Jugendliche eine 57-jährige trans Frau in der Bremer Straßenbahn beleidigten sie, rissen ihr die Perücke vom Kopf und verletzten sie schwer im Gesicht.
Heute sitze ich hier und während ich diese Zeilen schreibe, habe ich Angst. Ich frage mich, was in den letzten zwei Tagen passiert ist? Was wird heute passieren? Morgen? Übermorgen? Ich frage mich, ob es mich auch treffen wird? Wann es mich auch treffen wird?
Ich bin eine trans Frau, also eine Frau die vor vielen Jahren mit männlichen Geschlechtsmerkmalen zur Welt kam und diesen Umstand, diesen Geburtsfehler durch geschlechtsangleichende Operationen korrigiert hat. Ich habe sehr viel mitgemacht. Ich wurde gemobbt, verprügelt, ja sogar mehrmals vergewaltigt. Doch nie hatte ich so viel Angst raus zu gehen, wie heute.
Inzwischen habe ich mir einen sogenannten Taschenalarm bestellt und immer Pfefferspray bei mir, wenn ich das Haus verlasse.
Aber ich werde mich nicht verstecken! Ich werde weiterhin rausgehen und mich zeigen! Ich werde weiterhin sichtbar sein und Euch zeigen, dass ich da bin, dass wir da sind!
Jetzt erst recht! Denn wenn wir uns verstecken, dann werden wir zu etwas Unnormalem, Ungewohntem, Sonderbarem. Wenn wir jetzt erst recht hinausgehen und laut sind und zeigen, dass es uns gibt, dann werden wir vielleicht irgendwann zu etwas Normalem.
Für die Opfer ist das alles aber egal, sie haben damit zu tun ihr Trauma zu überwinden, wieder gesund zu werden, wieder zurück ins Leben zu finden. Sie sind mit sich selbst beschäftigt und müssen sich dann auch Gerede gefallen lassen, dass wenn sie sich nicht so „auffällig“ verhalten hätten, sie nicht Opfer von Gewalt geworden wären.
Eine Studie des Berliner Senats belegt, dass queere Jugendliche eine bis zu sechsmal höhere Suizidrate haben, als nicht-queere Jugendliche. Dieses Ergebnis wird durch eine italienische Meta-Studie bestätigt. Der Grund ist nicht die queere Identität, sondern Mobbing, Ausgrenzung in Schule und Ausbildung und Ablehnung im eigenem Elternhaus durch die Eltern und Geschwister. Jeder zweite queere Jugendliche gibt an, in der Schule Mobbing-Erfahrungen gemacht zu haben und das in ganz Europa.
Die Zahl der Straftaten in Deutschland im Rahmen queer- und LGBT feindlicher Kriminalität ist in den vergangenen Jahren stetig angestiegen.
Laut Bundesministerium des Innern und für Heimat wurden für 2020 bis zum Stichtag 31.01.2021 insgesamt 204 Straftaten, davon 40 Gewaltdelikte im Themenfeld „Geschlecht/sexuelle Identität“ registriert. Damit sind transfeindlich motivierte Taten gemeint. Im Themenfeld „sexuelle Orientierung“ wurden insgesamt 578 Straftaten, davon 114 Gewalttaten registriert. Diese Taten gelten als homofeindlich motiviert.
Insgesamt wurden 2020 folglich 782 Straftaten von Hasskriminalität gegen LSBTI registriert, darunter 154 Gewalttaten. Das ist ein Anstieg von 36 % gegenüber 2019.
Was wird dagegen getan?
Wir, also die Partei mut und alle Queerverbände, der Lesben- und Schwulenverband, die dgti e.V., die VDGE e.V., jede*r Aktivist*in und jede*r Betroffene fordern es seit vielen, vielen Jahren:
• Die Erfassung von Gewalttaten gegen LGBTIQ* nach Bundesland und bundesweit, um Hassverbrechen klar zu benennen und zu ahnden. Aktuell wird dies nur in Berlin, Hamburg und Bremen getan.
• Einen bundesweiten Aktionsplan gegen Homo- und Transfeindlichkeit aufzulegen.
Wir von mut stehen außerdem für:
• ein glaubwürdiges weltweites Eintreten für die Entkriminalisierung und Akzeptanzförderung queerer Menschen. Denn nur wenn queere Menschen als etwas Normales angesehen werden, werden solche Gewalttaten aufhören.
• ein glaubwürdiges weltweites Eintreten für die Akzeptanzförderung von Diversity und Vielfalt der Geschlechter.
• die Förderung ehrenamtlicher Strukturen in Beratung und Selbsthilfe – ideell wie finanziell.
• den Ausbau von Beratungsangeboten von der/für die Regenbogen-Community.
• eine menschenrechtskonforme Geflüchtete- und Integrationspolitik für queere Geflüchtete. Geflüchteten Menschen gilt unsere Unterstützung und Solidarität. Queere Geflüchtete haben noch ganz andere Bedarfe, auf die in geeigneter Weise eingegangen werden muss.
• eine diskriminierungsfreie Blutspende aller Menschen, ohne die Notwendigkeit der Offenlegung von sexuellen Präferenzen oder Orientierungen.
Ich hoffe so sehr, dass ich keine Angst mehr haben muss. Ich hoffe so sehr, dass ich mich nicht verstecken muss um zu überleben! Und ich hoffe so sehr, dass die Menschen endlich verstehen, dass auch wir Menschen sind und einfach nur unser Leben leben wollen. Wir tun Euch doch auch nichts!
(Quelle: https://www.lsvd.de/de/ct/3958-Alltag-Homophobe-und-transfeindliche-Gewaltvorfaelle-in-Deutschland)