Kaufprämie bei Neufahrzeugen?
Seit einigen Wochen fordern die Ministerpräsident*innen Baden-Württembergs (Grüne), Niedersachsens (SPD) und Bayerns (CSU) Geldprämien beim Kauf von Neufahrzeugen und dem Abwracken von alten Autos. Das zeigt, wie dogmatisch die Landesregierungen der sogenannten Autoländer bar jeder verkehrsplanerischen Vernunft und allen Gegenstimmen zum Trotz an ihrer Lieblingsindustrie festhalten. Die Umsetzung solcher Prämien wäre unsozial, ökologisch problematisch und es würde davon ein politisches Signal ausgehen, das Geschäftsmodell des fossilen Automobilismus auch in Zukunft fortzuführen und die Klimaziele des Pariser Abkommens und das 1,5°C-Ziel zu verkennen.
Selbst gemessen an der eigenen Zielvorgabe, der durch Corona in ihren Produktions- und Verkaufsabläufen irritierten Automobilindustrie Hilfe zu leisten, wäre die diskutierte Prämie wohl nicht besonders effektiv. Vielmehr ist wohl mit vorgezogenen Anschaffungen (wie es bei der Abwrackprämie 2009 der Fall war) oder mit Mitnahme-Effekten zugunsten jener, die ohnehin eine Neuanschaffung geplant hatten, zu rechnen.
Darüber hinaus wäre die Prämie hochgradig ungerecht, da Steuergelder darauf verwendet würden, Käufer*innen neuer Automobile zu unterstützen. Das sind in der Regel die ohnehin schon wohlhabenderen Bürger*innen. Deutlich über der Hälfte der Neuwägen wird außerdem von Unternehmen angeschafft (1), die die Fahrzeuge ihren Angestellten steuerlich massiv privilegiert und mit Anreizen zum übermäßigen Fahren überlassen (2). Menschen, die aus ökologischer Überzeugung kein Auto besitzen oder sich schlicht keines leisten können, würden nicht von der Prämie profitieren. Gleichzeitig würden durch die geforderten Prämien wohl (wie 2009) Konsumausgaben überproportional in den Automobilmarkt gelenkt – auf Kosten beispielsweise der Gastronomie, des Kulturbetriebs, von hochwertigen, regionalen Lebensmitteln oder von Handwerksprodukten.
In der aktuellen Krisensituation wird besonders sichtbar, wie ungleich unsere Gesellschaft ist, wie ungleich etwa Wohnraum und Resilienz verteilt sind und dass die Art des Wirtschaftens und des Zusammenlebens neu verhandelt werden muss.
Allgemein müssen Konjunktur- und Hilfsprogramme jetzt so ausgestaltet werden, dass sie finanzielle und soziale Härten für betroffene Bürger*innen abfedern und gleichzeitig nachhaltige Entwicklung im Sinne der Klimaziele fördern. Anstelle von kurzfristigen branchenspezifischen Geldgeschenken braucht es dafür einerseits ein engmaschiges Netz an sozialstaatlichen Leistungen zur Sicherheit für alle Menschen, die von Arbeitslosigkeit, Lohnkürzungen oder dem Wegfall von Aufträgen bedroht oder bereits betroffen sind.
Andererseits müssen mit Blick auf die Klimaziele die fossilen Industrien zukunftsfähig restrukturiert werden. Im Bereich Mobilität braucht es deshalb Fördermaßnahmen zugunsten von Fahrrad- und Fußverkehr sowie von öffentlichen, bevorzugt schienengebundenen Verkehrsmitteln wie ÖPNV und Bahn. Gerade bei der Bahn müssen Sparmaßnahmen etwa am Personal vermieden werden, deren Folgen die erforderliche Verkehrswende erschweren würden. Es wäre aus Sicht der meisten Bürger*innen (3) unverständlich und aus verkehrspolitischer Perspektive unvernünftig, jetzt ausgerechnet die Automobilwirtschaft mit Förderungen in Form von Kaufprämien zu bedenken. Die Branche wirtschaftet ohnehin schon mit hohen externen Kosten (4), die zukünftige Generationen, Bewohner*innen günstigen Wohnraums an vielbefahrenen Straßen und strukturell den globalen Süden treffen.
Nicht nur im Betrieb fallen bei Auto und LKW durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe hohe Umweltkosten an. Auch bei ihrer Produktion werden (bezogen auf die Transportleistung) viel größere Mengen an Rohstoffen wie Kupfer, Eisenerz, Aluminium oder Bauxit und für deren Extraktion, Transport und Verarbeitung viel mehr Primärenergie verbraucht als bei öffentlichen Verkehrsträgern (5). Diese Rohstoffe werden unter für die Arbeiter*innen, Anwohner*innen und die Umwelt teils katastrophalen Bedingungen abgebaut.
Jetzt beschlossene Fördermaßnahmen müssen zum Ziel haben, zu einer ökologischen und sozialen Verkehrswende beizutragen, und sich ihrer lang- und mittelfristigen Wirkung bewusst sein. Vor dem Hintergrund der aktuellen Lage ist aus Sicht des mut-Forums Energie und Verkehr jetzt besonders wichtig:
• Kosten- und bedingungslose Nutzung des ÖPNV.
• Autoverkehr in den öffentlichen Räumen durch sinnvolle Alternativen ersetzen: mehr Platz für Fahrradfahrer*innen und Fußgänger*innen, autofreie Umgestaltung von Innenstädten.
• Fahrbahnen zu Radwegen und Autoparkplätze zu Radstellplätzen und breiteren Wegen für Fußgänger*innen. Pop-up-Bike-Lanes wo immer möglich einrichten.
• Tempo 30 innerorts zum Schutz von Fahrradfahrer*innen und Fußgänger*innen.
• Ausbau von Linien und Taktung von ÖPNV und Bahn vor allem im ländlichen Raum.
• Mobilitätsprämie für CO2freie Mobilität jenseits der PKW – auch das schafft Arbeitsplätze: Kaufprämien für Fahrräder, Lastenräder, E-Bikes, Kinderräder und kleine Elektrofahrzeuge sowie Finanzierung von Bahngutscheinen und Bike- und Carsharing.
• Niedrigere Ticketpreise bei der Bahn und dafür höhere Finanzierung durch LKW-Maut und die Abschaffung der steuerlichen Subventionen für den Flugverkehr. Schienenmaut halbieren.
• Homeoffice durch Ausbau digitaler Infrastruktur ermöglichen. Breitbandausbau beschleunigen und Kommunen dabei unterstützen.
• Verkehr reduzieren durch Schaffung wohnortnaher Coworking-Spaces, z.B. im ländlichen Raum.
(1) https://www.kba.de/DE/Statistik/Fahrzeuge/Neuzulassungen/Halter/2018_n_halter_dusl.html
(2) https://www.br.de/nachrichten/bayern/nuetzt-reichen-schadet-der-umwelt-kritik-an-dienstwagenprivileg
(3) https://www.heise.de/news/Die-meisten-Buerger-sind-gegen-eine-Auto-Kaufpraemie-4717310.html
(4) https://www.heise.de/news/Die-meisten-Buerger-sind-gegen-eine-Auto-Kaufpraemie-4717310.html
(5) https://www.heise.de/news/Die-meisten-Buerger-sind-gegen-eine-Auto-Kaufpraemie-4717310.html
Kontakt zu unserem Sprecher: Andreas Rau