Ein Kommentar zu den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen

von mut Vorstandsmitglied Jörg Jovy

Historische Analogien sind stets mit Vorsicht zu genießen. Auf die Frage, was bedeutet der Sieg der AfD in Sachsen, vor allem aber in Thüringen sollte man nicht sofort an die Weimarer Republik erinnern, auch wenn sich Vergleiche geradezu aufdrängen. Fakt ist: Die Deutschen haben 91 Jahre nach der Machtergreifung Hitlers wieder einen Faschisten und seine Partei in einer demokratischen Parlamentswahl zu stärksten Macht gewählt. Damit steht Thüringen nicht allein da, Ungarn, Italien, Holland und viele andere Nationen sind voraus gegangen. Und noch reden wir ja nur über ein Bundesland. Doch der Trend ist eindeutig. Auch Deutschland rückt erkennbar und vor allem gefährlich nach rechts. Und das Besorgnis erregende neben dem Wahlergebnis ist nicht allein, dass der Faschist Björn Höcke mit Siegermine von den Bildschirmen strahlt, es sind die eindeutig rechtsextremen Einstellungen von AfD- und BSW-Wähler*innen. Sie wollen einen anderen Staat, weg von Demokratie und Freiheitsrechten, hin zu autoritären Strukturen und offenem Rassismus. Höcke, Weidel, Wagenknecht und Ihresgleichen sind nur die Projektionsfläche antidemokratischer Einstellungen. Die Figuren können so lange ausgetauscht werden, bis „derjenige“ eine kommt, der die Macht an sich reißt.

Bis heute wird darüber gestritten, was nun die entscheidenden Ursachen für die Machtergreifung 1933 waren. Dazu seien doch ein paar Denkanstöße erlaubt.

1. Die konservativen Parteien wurden in der Weimarer Republik zwischen den Lagern aufgerieben. Die demokratiefeindliche DNVP war schließlich der Steigbügelhalter der Nazis, andere wie DDP und DVP zu Splitterparteien geschrumpft oder wie die Bayerische Volkspartei ins Lager der Nazis gewechselt. Einzig das Zentrum konnte seine Wählerschaft stabil halten. Bei allerdings nach dem Scheitern der Regierung Brüning unerheblichen 15%. Auch in Europa sehen wir eine Erosion der konservativen Parteien. Davon blieben CDU/CSU bis heute verschont. Friedrich März feiert sich schon als Stabilitätsanker. Tatsächlich aber teilen viele Konservative die extremistischen Ideen der AfD, siehe Werteunion.

2. Teile der Industrie sympathisierten offen mit autoritären Systemen und den Nazis. Oft wird dabei die finanzielle Unterstützung reicher Stahlbarone wie Thyssen oder Krupp für die NSDAP angeführt, aber das allein reicht nicht aus. Eher entscheidend ist die 1929 ausbrechende Wirtschaftskrise, die bis 1933 ein Heer von Arbeitslosen hervorbringt. Die vier Jahre Krise– so schildern es viele Berichte – haben die Stimmung im Land komplett gedreht. Existenzängste und eine radikal geänderte Lebenssituation haben die Menschen in die Fänge der Rechten getrieben. Und heute? Die Industrie steht weltweit vor enormen Herausforderungen. Der Umbau zu klimaschonenden Produktionsweisen ist vorerst gescheitert, auch am Reformunwillen konservativer Parteien bis weit in die Sozialdemokratie hinein. Angela Merkel und ihre Regierungen haben nicht die drängenden Reformen moderiert, sondern Tatenlosigkeit orchestriert. Der Feind steht nun nicht mehr links, sondern im ökologischen Reformlager. Markus Söder hat seinen Endgegner klar benannt, die Grünen. Gemeint aber ist der Wunsch nach und die Notwendigkeit zu Reformen. Unterstützung findet diese Politik bei Industrien, die Schwierigkeiten haben, für sich Perspektiven unter veränderten Vorzeichen zu finden. Dazu gehört eine verunsicherte Automobilindustrie aber auch Teile der Energiewirtschaft und der Schwerindustrie. Hinzu kommen die Lautsprecher aus den Vorstand- und Verbandsetagen wie Martin Herrenknecht oder den Chef der Deutschen Börse Theo Weimer, die den Standort Deutschland wortgewaltig schlecht reden, ohne Fakten zu benennen. Ihre mehr als eigenbrötlerischen Vorstellungen werden gerne von einer Presse aufgegriffen, die billig Zeilen und Sendeplätze füllen muss. In der Summe hat dies dazu geführt, dass 20 Jahre Wachstum und Wohlstand abrupt ihr Ende fanden. Unterbrochen nur vom Jahr der Finanzmarktkrise, die die deutsche Wirtschaft bereits in den beiden Folgejahren komplett kompensieren konnte.

3. Nichts erscheint mir so unsinnig wie die permanente Diskussion über Migration. Keine Frage, wo Messer gezückt werden, ist der Staat gefordert. Man nennt das Rechtsstaat, für Mord gibt es im Regelfall lebenslange Haft möglicherweise in Verbindung mit Sicherheitsverwahrung. Doch ein Land wie Deutschland, das dringend auf Zuwanderung angewiesen ist, kann eine Migrationsdebatte wie sie derzeit geführt wird nicht brauchen. Das gilt auch für Dobrindt und Kolleg*innen. Am Ende wird das Original gewählt und nicht die schlechte Kopie.

4. Ich nehme einmal an, dass sich in einigen Jahrzehnten (und natürlich auch schon heute) die Historiker*innen darüber streiten werden, welche Folgen der Ausbruch von COVID19 für die Welt hatte. Tatsache ist, dass ein Standbein rechter Verschwörungstheorien die Leugnung der Pandemie ist und damit auch die Infragestellung der demokratisch legitimierten Institutionen, die die neuartige Gesundheitsbedrohung bekämpfen mussten. Tatsache ist: Auch die Pandemie hat maßgeblich zur Radikalisierung breiter Bevölkerungskreise in Ost und West beigetragen.

Bleibt die Frage, was tun? Faschist*innen neigen nicht dazu, die Macht wieder abzugeben, wenn sie sie einmal in den Händen halten. Deshalb darf man sie ihnen erst gar nicht überlassen. Dies sollten sich vor allem Konservative ins Stammbuch schreiben. Das Liebäugeln mit rechtsextremen Positionen, die Migrant*innen die Schuld an allem geben ist ein Kardinalfehler konservativer Politik und zahlt am Ende nur aufs Konto von AfD und BSW. Koalitionen auf Gemeinde und Länderebene verbieten sich von selbst. Die Herausforderungen des Klimawandels dürfen nicht länger geleugnet werden, sondern müssen durch sinnvolle Investitionen in neue Infrastruktur gemeistert werden. Gerne auch in den neuen Bundesländern. Den rechten Ideolog*innen aber sollte man klare Grenzen aufzeigen. Dazu braucht es auch eine neu, andere Linke, die Mut gerne unterstützt. Der Kampf um die Köpfe hat gerade erst begonnen.

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